Freitag, 9. Mai 2008

Unsere alte Straße

Seit Ende Februar haben wir der Stadt mit all ihrem Dreck, dem Lärm und den Verkehr den Rücken gekehrt. Es war einfach nur noch eine Zumutung. Die LKW`s rumpelten schon morgens ab 3.30 Uhr über die Straßen, der Strom der Fahrzeuge schien endlos und auch am späteren Abend kam der Verkehr nicht zur Ruhe, im Gegenteil: es gesellten sich zur ohnehin aufdringlichen Geräuschkulisse noch lautstarke Passanten dazu.

Da wir dort 12 Jahre wohnten, konnten wir den ruinösen Werdegang dieser Straße ausgiebig beobachten. In den letzten beiden Jahren wurden die Wohnungen fast ausschließlich an Studenten vermittelt. Ja, lacht nur! Glaubt mir: alles, was ihr euch jetzt vorstellt ist nix gegen das, was wir erlebt haben.

Nur ein Beispiel:
Ich glaube nicht oder besser: ich hoffe nicht, dass es jemand als Vergnügen empfinden kann, sich mit Wolle Petry im Ohr früh um 2.30 Uhr verzweifelt in den Schlaf zu fluchen! Am aller schärfsten waren die Deutsche-Schlager-Nächte und 80er-Jahre-Feten!! Übrigens war dort der Tiefpunkt erreicht, und ich habe spielverderberischerweise morgens um 3.00 uhr die Polizei, unseren Freund und Helfer, um Unterstützung gebeten..

Sie haben es zwar nicht gleich eingesehen, erst nachdem ich ins schlafzimmer ging (natürlich mit dem freundlichen Wachtmeister am Telefon) und wir uns nicht mehr unterhalten konnten.. es dauerte so ca. anderthalb Stunden bis zum Eintreffen der grün-weißen Partyfrösche. Davon habe ich leider nix mehr mitbekommen. Ich schlummerte bereits tief und fest in der Badewanne.

Dann gab es da auch noch Nachbarn! Einige dieser Exemplare waren penetranter als der Verkehr und die ewigen Studenten-Feten! Größtenteils setzte sich dieses besondere Völkchen zusammen aus (ratet mal;-)) Studenten, Junggesellen, Alleinerziehenden, Großfamilien verschiedenster ethnischer Herkunft, Alkohol- und Drogenabhängigen, Faschos, Otto-Normalverbraucher-Familien und Rentnern.

Viele Leute bedienten auch sämtliche Klisches. Egal, wann ich abends das Fenster öffnete, war der Junggeselle mal mit nem männlichen, mal mit nem weiblichen Betthäschen zu Gange. Eine Frau, die mit ihrer kleinen Tochter gegenüber wohnte, fand so ca. alle zwei Wochen den Traumprinzen. Unsere ausländischen Mitbewohner waren mir die Angenehmsten - immer lachend, freundliche Worte und viele Kinder. Allerdings tragen alle 4 der Mädchen einer irakischen Familie zwischen 11 und 17 Jahren Kopftücher, was ich persönlich gern an anderer Stelle diskutieren würde.

Einer unserer Rauschbrüder war zur Fußball-WM splitterfasernackt unterwegs. Er lief mit schwenkendem (doch recht großem) Penis mehrfach um den Block. Wir begegneten ihm ein paar mal. Ich hatte noch vom WM-Event, das wir immer traditionell familiär zelebrieren, leere Kuchendosen und Geschirrtücher dabei. Als ich sah, dass er auf uns zukam, setzte ich fix die Dosen ab und hielt dem Kerl eines meiner ausgebreiteten Wischtücher unter die Nase mit andeutendem Blick nach .. ähäm!! ohne irgendeine Mine zu verziehen, ergriff er das Handtuch, hielt es ausgebreitet vor sein freigelegtes Geschlechtsteil und zog weiter. Genauso begegnete er uns noch zweimal. (ja, ich gebe es zu: wir haben direkt auf ihn gewartet! da waren noch ein paar besorgte Passanten und gemeinsam diskutierten wir, ob wir die Polizei holen sollten. Wir entschieden uns dagegen, weil einer meldete, dass der Nackedei jetzt in der Kneipe an der Ecke versorgt würde. Da ich die Besitzerin kannte, wußte ich, dass er in guten Händen war.)

Meine absolute Nummer 1 der lästigsten Nachbarn waren die Rentner! Der eine, wir nannten ihn hochachtungsvoll "CIA", dem entging nix! Der brachte es sogar fertig, die Baufirma, die gegenüber die Hausfassade gestrichen hatte, anzuzeigen, weil die die Hütte nicht verhüllt hatten und seine Fensterscheiben "davon" schutzig geworden waren. (Die Firma mußte die Arbeiten doch tatsächlich abbrechen und Planen ziehen.) Das machte CIA dann auch nicht soooo glücklich - er sah ja nix mehr!

Da war er knallhart: er schnappte sich nen Besen und nen Eimer, warf sich nen Kittel über und spazierte gut präpariert auf die Straßenseite des Grauens, tat, als würde er nützliche Dinge verrichten und sperrte Augen, Ohren, Nase und Mund weit auf. Die Arbeiter waren bald Nebensache. Er belauschte Gespräche, mischte sich als "Augenzeuge, der alles ganz genau gesehen hat!" in Unfallgeschehen ein und belästigte völlig unschuldige Passanten, indem er ihnen seine Erlebnisse ins Ohr pobelte... Ja, der gute CIA, und wenn er nicht gestorben ist, dann stänkert er noch heute!

Dann gab es noch die Rentnerin, die alleine 4 Kinder groß gezogen hat. Sie war zweimal verheiratet. Beide Männer Säufer, jede Menge Gewalt, Scheidung... Heute viele Zipperlein, schmale Rente, keine Extras, keinen Urlaub, der Gang zum Bäcker ist schon fast eine Weltreise... Die Kinder sind heute erwachsen, haben eigene Familien. An Weihnachten und auch so ist sie allein. Sie ist verbittert, hat keine Lebensfreude mehr, ihr Hund ist gestorben... Außer Boshaftigkeiten, Gift und Galle ist nicht mehr so viel übrig. Mit der Pulle Weißen in ihrer Kittelschürze und den Filzpantoffeln auf den fleischfarben bestrumpfhosten Füßen würde sie gern die Welt vom Schmutze (Schmutz = Teenager, Teenager = Sexmonster!) säubern. Aber welcher Teenager läßt sich von "so ner gehässigen Alten" schon gern die Welt erklären? Wenn sich mal jemand zu ihr verirrt, der kommt nicht wieder weg, aber eben auch nie wieder.

Komik und Tragik liegen doch eng bei einander. Ich weiß, dass es schon den Eindruck eines üblen Assi-Viertels hinterläßt, doch so ist es (noch) nicht. Es prallen nur viele Welten auf einander und die Strukturen verändern sich. Dieser Prozess ist in vollem Gange.

Was die Menschen in unserer alten Straße betrifft, sei noch gesagt, dass nicht alle so krass drauf waren. Diese sind mir nur als erste wieder ins Gedächtnis gekommen. Seit wir hier wohnen, habe ich nicht mehr an diese Leute gedacht. Gesehen habe ich sie ebenfalls nicht (oder nicht wahrgenommen), obwohl ich da immer mal in der Nähe bin.

Ja, so war das und so isses noch. Ich werde im Laufe der Zeit bestimmt hin und wieder mal ne kleine Episode von dort erzählen... Eins ist aber sicher: dahin will ich nicht mehr zurück. Könnt ihr das verstehen?

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