Montag, 28. Juli 2008

Mann und Maus

Auf meinen Wegen durch die Stadt fiel mir vor einiger Zeit jemand auf. Was er tat, fiel mir auch auf, allerdings wollte ich etwas abwarten und weiter beobachten, ob meine Vermutung stimmte.

Der Mann, den ich sah, kennen hier in der Stadt die meisten Menschen. Oder sagen wir es so: früher kannte ihn hier jeder vom Sehen. Er trug Sommer wie Winter ein quer blau-weiß-geringeltes Kurz-Arm-T-Shirt, braune Malimo-Hosen und Römerlatschen, diese meist nur im Winter, im Sommer kam er öfters barfuß. Da er etwas breiter als hoch war, lugte sein kugelrunder Schwabbelbauch zwischen dem Ringel-T-Shirt und der Hose lustig wippend hervor. Seine dünnen, schulterlangen Haare waren ewig ungepflegt und fettig. Seine Erscheinung lag irgendwo zwischen den Bildern von Bofinger und Zille.

Als Schülerin verdiente ich mir in den Ferien ein wenig Geld in einer Fabrik, in der auch dieser Mann arbeitete. Er hatte dort so eine Art "Zubringer- und Wegbringer"-Funktion, in einer größeren Halle. Dort arbeiteten viele Frauen (und 2 Wochen lang auch ich) und löteten und schraubten irgendwelche Teile zusammen, die unabdinglich waren für die sozialistische Produktion und deren Exportschlager.

Er mußte die Arbeitsmaterialien der Frauen an den Arbeitsplätzen verteilen, fertige Werkstücke, die schon die Kontrolle passiert hatten, einsammeln, stapeln, andere aufhängen und in andere Abteilungen liefern zur Weiterverarbeitung. Bei einem Acht-Stunden-Tag arbeitete er ca. 2 Stunden aktiv. Zwar weiß ich es nicht genau, aber ich gehe davon aus, dass er damals schon als "Rehabilitant" geführt wurde und er als geistig Behinderter so einen geschützten Arbeitsplatz da hatte.

Die Arbeitsplätze der Frauen waren wie in einem herkömmlichen Klassenzimmer angeordnet. Jede saß einzeln an ihrem Tisch, die Tische waren nach vorn ausgerichtet, auf jeder Seite ca. 10-15 Plätze, und vorn an der Stirnseite stand wie ein Lehrertisch der Arbeitsplatz dieses Mannes.

Eines Tages, ich haßte diese eintönige Akkordarbeit und das ewige Geschwätz der Damen, kam dann doch etwas Abwechslung in diese Monotonie. Ich kämpfte gerade mit einer Lötverbindung, da kreischten und quieckten die meisten der Frauen um mich herum. Ich hob erschrocken meinen Blick, dachte an Feuerarlam oder so, und sah, wie der Mann eine Trinkfix-Dose vom Regal nahm.

"Ih, glei gidds los - ar nejä..!", wimmerte es panisch hinter mir. Vor mir sprangen einige Frauen von ihren unbequemen Stühlen hoch, rannten teils zur Tür, teils stiegen sie auf ihre Arbeitstische, auch hinter mir an den Plätzen wuselte und rumorte es - und ich dachte, ich sei im falschen Film. Die Frau hinter mir rief fast schon hyperventilierend auf meine fragenden Blicke : "Basse uff, glei huld dor se raus, das is scha ehschlisch, ar nejä..!" - also schwenkte ich wieder um, sah nach vorn und konnte es nicht glauben.

Der Mann saß ganz ruhig inmitten des hysterischen Geschreis an seinem Tisch, packte seine "Bämm-Büchse" (Ossi-Deutsch:Brotdose/Neudeutsch: Lunchbox!) aus, sortiete die belegten Brote feierlich von einem Deckel in den anderen und leckte sich dabei genüßlich die Lippen und schmatzte sich herzhaft die dicken Finder ab. Dann nahm er die Trinfix-Dose (das Geschrei um mich herum schwoll an) und lüpfte ganz vorsichtig den roten Plastikdeckel.

Freude stahlend sah er tief in die Dose hinein und murmelte etwas. Freudig erregt griff er hinen und hielt etwas zwischen Daumen und Zeigefinger, was ich nicht gleich erkennen konnte. Die Frauen veranstalteten einen Ohren betäubenden Lärm - zwischen den beiden bockwurstigen Fingern hing kopfüber eine kleine graue Maus. Sie zappelte wie wild, piepste bestimmt auch, jedoch nicht so laut wie die reizenden Geschöpfe um mich herum.

Die Maus am Schwanz gepackt, lies er das arme Ding ganz dicht vor seine Nase hin und her pendeln und sang mit sehr hoher Stimme: "Mäuschen, Mäuschen ging in Garten, wollt nicht auf die Katze warten!" - Da lag ich erst mal flach!

Nachdem ich mir die Tränen aus den Augen gewischt hatte, sah ich zu, wie er das Mäuschen mit seinen Broten fütterte. Das tat er sehr behutsam und fürsorglich, ein unglaublicher Anblick: diese riesigen fleischigen Finger an dem kleinen Schnäuzelchen des hungrigen Nagers.

Die Brigadeleiterin sah sich genötigt, trotz ihrer akuten Maus-Phobie, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Sie drängte ihn unter allerlei Androhungen irgendwelcher Sanktionen, die Fütterung des "wildn, ehschlischn Vieschs" zu beenden, damit man sich wieder der Erfüllung der Normen der sozialistischen Produktion widmen konnte.

Er war zwar nicht wirklich damit einverstanden, willigte aber knurrend ein. Wahrscheinlich kannte er das schon. Schnell wurde noch ein Stücken Wurstbrot in die Büchse gelegt, das Mäuschen vom Tisch weggefangen und wieder ins Döschen verfrachtet - Deckel zu! Ein wenig beleidigt saß er mit verschränkten Armen an seinem Tisch und starrte auf die Dose. Die ersten Arbeiterinnen entspannten sich dann so weit, dass sie von ihren Tischen herunter kletterten und sich setzen konnten, die Flüchtigen steckten die Köpfe zur Tür rein: "Isse schätzdä wirglä wäg..?" und schlichen eifrig mit eingezogenen Köpfen auf Zehenspitzen an ihre Produktionsstätten.

Ruhe kehrte allmählich zurück in den Saal. Nach einer Weile schaute ich gelangweilt und rückenschmerzgeplagt in der Halle um. Mein Blick richtete sich nach vorn, ich sah nur wie die Trinkfix-Dose mit der Maus darin von dem Mann über den Tisch gerollt wurde - hin und her, und her und hin... immer schneller und schneller...

Alles, worüber man jetzt diskutieren könnte, erspare ich mir an dieser Stelle. Nur so viel: der Betrieb wurde nach der politischen Wende in unserem Land wie so viele auch geschlossen. Der Mann hatte am letzten Tag nicht nur alle seine Papiere dabei. Er verlies die Fabrik mit einer Trinkfix-Dose unterm Arm...

Lange Zeit war er aus dem Stadtbild verschwunden. Vor einigen Jahren sah ich ihn dann wieder. Seine gewohnte Standart-Garderobe hatte die neue Zeit wohl nicht mehr erlebt. Sein Gewicht hat er gut und gern um die Hälfte reduziert, er ist unauffällig gekleidet und die Zeit hat sich tief in seinen Gesichtszügen eingegraben. Er lebt wohl in der Betreuten Wohneinheit. Allem Anschein nach gab und gibt es Menschen, die sich um ihn kümmern. Es scheint ihm gut zu gehen.

In letzter Zeit sehe ich ihn fast täglich am Morgen mit einem Eimer und einer Schaufel bestückt durch die Strassen gehen. Er kümmert sich um Müll und Unkräuter auf Wegen und Bordsteinen bis in die Abendstunden. Ab und an setzt er sich neben seinen Eimer und trinkt ein Bierchen, dann steht er wieder auf und wuselt weiter.

Er tut das ganz sicher nicht ARGE-gezwungenermaßen, sondern aus freien Stücken. Und genau das ist das Faszinierende daran. Was ihn dazu motiviert würde ich gern erfahren.

Sollte jemand von euch wissen, ob und wo es heute noch Trinkfix in der Dose gibt, bitte lasst es mich wissen - ich würde ihm gern eine schenken, wirklich.

Quiz-Frage

Beginnen wir heute mit einer Quiz-Frage:

Was ist ES?

ES sieht aus wie ein Fass an einer Eisenstange.

ES hält seine Arme auf dem Rücken verschränkt, um nicht vorn über zu kippen.

ES trägt seinen Bürzel genau an der höchsten Stelle seines Hauptes.

Es ist rund herum eckig und scheint auch von daher asexuell.

ES ist laut und das permanent.

ES ist hohl und raucht ständig - auch inmitten von Kindern.

ES hat keine Ahnung, was ES tut, aber ES tut immer irgend etwas und will dafür gelobt werden.

ES ist konsequent unproduktiv.

ES ist komplett kreativ-befreit, sieht das aber anders.

ES hat absolut keinen Plan, deshalb verwendet ES heimlich die anderer.

ES liebt es, mit Rotstiften in fehlerfreien Schriftstücken seine Fehler einzuzeichnen.

ES zeigt wenigstens 763 mal täglich mit seinen Krallen auf andere.

ES will niemand dahei haben - ES läßt sich jedoch nicht abschütteln.

ES versteht weder direkte noch indirekte An- und Abweisungen.

ES ist gehäßig, neidisch, gierig, verfressen, behäbig, herrisch, neugierig, masslos und schlaff.

Es verzieht sein Maul beim Grölen und Nölen wie ein Eiter pumpendes Furunkel.

ES grölt mit vollem Maul, besudelt sich und andere unschuldige Mitmenschen.

ES frißt wie ein Schwein.

ES ist eigentlich ein Menschenfeind.

ES ist hinterhältig und verschlagen.

ES will alles haben, aber nichts dafür leisten.

ES überschätzt sich generell selbst.

ES will keiner haben.

Man wird ES einfach nicht los, wenn ES einen an den Hacken klebt.


Zu gewinnen gibt es ausser der ausführlichen Auswertung/Auflösung nichts. Fleissige Leser könnten sich jedoch bestimmt vorstellen, dass sie dabei auf ihre Kosten kommen würden.

Ich werde abwarten bis ich 23 Vorschläge von euch erhalten habe, woum ES sich hier handeln könnte. Diese würden auch als Kommentar veröffentlicht werden, soweit sie keine Namen, Adressen u.a. persönliche Informationen (von euren eigenen abgesehen) oder würdelose Botschaften enthalten.

Sollten jedoch diese 23 Antworten nicht eingehen, bleibt das Rätsel ungelöst.

Natürlich werde ich sachdienliche Fragen ausführlich beantworten.

Wer über gute Ideen verfügt, wie man ES loswerden kann - immer her damit!

Dann warte ich jetzt auf eure Beiträge und reibe mir vorfreudig die Hände.

Zurück

Da bin ich wieder.

Hin und wieder brauchts ein wenig Zeit, um sich zu sammeln, zu erholen und um andere Dinge zu tun, die man sonst alltäglich erledigt.

Jetzt bin ich wieder etwas aufgeräumter, habe zwar weniger Zeit, dennoch werde ich hin und wieder ein paar kleine Zeilen schreiben.

Vielen Dank für eure Geduld.