Donnerstag, 26. Juni 2008

Neulich im Wald...

Diese idyllische Landschaft, in der wir hier wohnen, bietet u.a. viele kleine und große Wege für die gewillten Wandersleut. Jeder Schritt, den man hier in die Natur setzt, wird belohnt. Es sei denn, man (frau!) ist auf Gassi mit dem Schweinehund nach einem klitze kleinen Unwetter!

Es hatte die ganze Nacht rings um unsere Gegend ordentlich gewittert. Dieses Schauspiel umkreiste im wahrsten Sinne unser Dorf. Woher ich das weiß? Die Nacht ist nicht nur zum schlafen da und außerdem kann ich bei Gewitterstimmung aus verschiedenen Gründen ohnehin nicht schlafen. Angst habe ich keine, eher im Gegenteil: es gibt ja so Typen, die Wirbelstürme verfolgen ... ich bin halt eine Gewitterhexe.

Nachdem die Blitze am Horizont wundervolle Leistungen erbracht hatten, schloß ich nur für einen kleinen Moment die Augen. Schlagartig riß ich sie wieder auf als vor unserem Schlafzimmer energisch zischelnd ein strahlender, zuckender Riesenblitz stand! Es folgte ein krachender Donner, der sich unzählige Male wiederholte. Schnell sprang ich auf, um "Gewitter zu gucken". Es blitzte rum um unser Häusl!

Am Horizont (der Morgen graute bereits) sah ich so etwas wie eine dichte Nebelwand, die sich rasant in unsere Richtung bewegte. Binnen einiger Sekunden erreichte sie unser Dorf und flutete es mehrere Minuten lang. Nackt wie ich war, rannte ich durch unser Häusl, um zu sehen, ob die Fenster geschlossen und dicht waren und natürlich, um nix zu verpassen.

Das Gewitter tobte sich ordentlich aus und der Himmel schloss seine Schleusen noch rechtzeitig vor der Überflutung des Dorfes. Auf Grund meiner Veranlagung bin ich der Meinung, dass derartige Ereignisse generell viel zu schnell vorüber gehen. Tatsächlich dauerte das intensive Naturschauspiel ca. 15-20 Minuten.

So ca. 4 Stunden später schnappte ich mir meinen Schweinehund zur täglichen Gassirunde. Allerdings beschlossen wir, die Runde von der anderen Seite anzugehen, weil wir nicht wußten, wie die Feld- und Waldwege jetzt aussehen würden. Also die ungeliebte Straße raus ausm Dorf, am Rande des Neubauviertels entlang, (genau da, wo Wahlplakate hingen und göttliche Astralkörper bei Hitze Ihre kompakten Peinlichkeiten detailiert entfalten) durch die alte Siedlung und rein in den Wald.

Abgesehen von der Asphaltstraße ist die Strecke ganz ordentlich. Allerdings hab ich es eben nicht so gern, wenn mir unterwegs so Leute begegnen, die ich auch noch kenne!
Als Erster kam mir der Versicherungsvertreter entgegen, den ich aus rein menschlischen Gründen eher sehr intensiv verachte. Leider gabs nur die frontale Variante.

Mir ging da so eine typische Westernszene im Hinterkopf ab: auf kahlem, meilenweitem Prärie-Gebiet begegnen (!) sich zwei abgehalfterte Banditos, der eine ist der Gute, der andere der Böse - und der Böse sagt mit bedrohlich düsterer Stimme und betont rollendem r: "Hier gibt es nur Platz für einen von uns!"- es knallen im selben Augenblick als das Wort "uns" noch nicht ganz ausgesprochen war die Pistolen. Der Wind fegt übers weite Land, ein Mann fällt vom Pferd - der Gute steckt seinen rauchenden Colt in den Hosenbund, hat noch ein mitleidiges Zucken in den Augen für sein "Opfer", schnalzt mit der Zunge, das Pferd wendet - der Held reitet am toten, Blut überströmten Bösen vorbei, rotzt ihm noch den Kautabak ins Gesicht und zieht einsam in den (abend- oder morgen-)roten Horizont.

Leider ließ sich diese Szene nicht so ganz in die mitteleuropäischen Verhältnisse der Kleinstadt einarbeiten... Zwar hab ich meine reissende Bestie mit dabei, aber umbringen kann der niemanden, leider! Wir sahen uns nur eisig an, knurrten beiderseits ein unterkühltes "Moin!" an, und jeder lief auf ein anderes Ende des Horizontes zu.

Doch kaum hatte ich den hinter mir gelassen, standen in ca. 100 Meter Entfernung ein paar Schulkinder, wie ich später erfuhr, was ich mir schon denken konnte, weil ich die Lehrerinnen erkannte, waren das zwei fünfte Klassen des Gymnasiums. Die Kinder von heute sind nicht so, dass sie aus dem Weg gehen, wenn ihnen jemand oder etwas entgegen kommt. Zwar sehen sie, dass sich da was auf sie zu bewegt, was sie jedoch nicht zum Anlass nehmen, sich selbst den einen oder anderen Schritt nach rechts oder links zu trollen. Mir blieb nix weiter übrig als mich mit dem Schweinehund an der kurzen Leine durch die Meute durch zu schlängeln, ohne die Bälger dabei zu beschädigen (das war richtig schwer!). Der Lärm, den die auf ihrem Weg durch den Wald veranstaltet haben, war sogar noch auf dem Feld hörbar, unglaublich!

Der Weg in den Wald war hart erkämpft, das glatte Asphaltstück hatte ich auch geschafft; und jetzt freute ich mich auf eine richtig entspannte Runde. Der Boden war angenehm, die Luft frisch und klar, die Vögel zwitscherten zwar ordentlich, kamen aber gegen das Geschrei der Pennäler nicht an, wir trafen unseren kleinen Fuchs wie jeden Morgen an der selben Stelle wieder - alles war perfekt! Kurz beschloss ich noch eine neue Route auszuprobieren. Die hatte ich am Sonntagmorgen entdeckt und für äußerst geeignet empfunden.

Voller Freude und Elan nahmen wir die letzten Meter bergauf und bogen leicht schweißbeperlt mit Schwung rechts in den kleinen Wanderweg ein... Mit einem kurzen Blick erfasste ich in ca. 10 Metern Entfernung vor uns ein großes Hindernis. Nichts Schlimmes ahnend drosselte ich meine Geschwindigkeit - und noch während ich dabei war zu realisieren, was sich da genau auf uns zu bewegte, hatte ich schon den Anker geworfen!

Vor mir standen zwei riesige Kühe (was immer "riesig" bedeutet: ich bin stolze 1,60 m in die Höhe gewachsen, und alles, was größer ist als ich ist groß, ist es wesentlich größer und/oder breiter als ich, ist es riesig!). Die beiden standen etwas versetzt hinter einander, der Weg ist schmal, breitbeinig aufgebaut mit gesenktem Kopf, angelegten Ohren und hatten mich mit samst dem Schweinehund bedrohlich muhend im Visier. Dem nicht genug - sie bewegten sich - zwar langsam - aber vorwärts - auf uns zu!

Mitten in der Notbremsung drehte ich auch auf den Hacken um und befand mich auch schon wieder in der Beschleunigung. Hinter mir trampelte und scharrte es. Aus den Augenwinkeln konnte ich noch sehen, dass sich der Abstand zwischen uns vergrößerte. Allerdings beruhigte mich das nicht wirklich. Ich wollte uns jetzt nur noch so schnell wie möglich in Sicherheit auf den Feldweg bringen.

In der Beschleunigung die enge Kurve wieder rum, dort versperren Bäume die freie Sicht auf ca. einen Meter, und nach oben raus auf den Berg! Mit vorher noch nie angewandter Kraft und Geschwindigkeit kommen wir um die Bäume herum auf den steinigen Berg (hier m man höllisch aufpassen, weil es recht hinterhältige Bodenverhältnisse sind), was kommt uns entgegen?!

Es war wie in einem Horrorfilm: du läufst vor dem einen weg, wähnst dich in Sicherheit und schon bist du umzingelt von des Teufels Botschaftern und Spießgesellen. Für eine kurze Schrecksekunde stand ich fassungslos da und besah mir einfach nur die Szenerie:

Drei Kühe walzten sich langsam und geräuschvoll den breiten steinigen Weg hinunter. Für den Bruchteil einer Sekunde innerhalb der Schrecksekunde sahen sie für mich aus wie das doch sehr übergewichtige Alt-Damen-Schwarzwälderkirschtorten-Ausflugs-Komitee. Ganz kurz nur konnte ich ihre pastellfarbenen Röcke mit weißen Rüschenblusen sehen, quadratisch praktische Henkelhandtaschen, die dicken Perlen-Ketten um den Hals geschwungen und so kleine Strohhüte auf dem Kopf mit bunten Blumen drauf, künstlichem Obst und vielen bunten Bändern sehen.

Leider war dieser amüsante Moment sehr sehr schnell vorbei, als es mir durch den Kopf schoss, dass wir jetzt in der Falle sitzen könnten. Um zu sehen, wie die drei Kühe reagieren, lief ich erst ein paar Schritte vorsichtig rückwärts, halbe Drehung, seitliches, schnelleres Laufen - sie muhten behäbig, behielten mich mit gesenktem, teils mit erhobenem Kopf im Blick, bewegten sich aber nicht schneller - also noch eine Drehung, und ganz fix auf das einzige Haus zu gerannt!

Glücklicher Weise standen die anderen beiden Kühe noch auf dem Wanderweg, damit war der Weg frei. An dem Haus angekommen, sah ich schon, dass alle Fenster und Türen geschlossen waren, Kinderspielzeug lag verwaist im Hof und auch an den Kaninchenställen war kein Mensch zu sehen. Dafür waren die Kinder, die wesentlich weiter weg waren als die Kühe, lauter als das Muhen.

Durch die ungeplant eingelegten Sprints brauchte ich erst eine kurze Atempause! Ich ging vorsichtig und langsam den Weg in Richtung Kühe zurück. Ich überlegte, wie ich jetzt am besten aus dieser Nummer wieder rauskommen konnte.

Die erste Möglichkeit: Kommando zurück! Na darauf hatte ich ja so richtig Lust! Püh! Wer weiß, wer mir da noch alles begegnet wäre... außerdem hätte ich einen richtig üblen Berg hoch laufen müssen - och nöö, meinte da der Schweinehund! Von der Entfernung wäre es kein Unterschied gewesen. Ich gebe es zu: der Berg war Schuld!

Die zweite Variante: weiter ins Tal und in den einschlägigen gastronomischen Einrichtungen nachfragen, wem die Tiere gehören. Die Polizei zu rufen, wäre mir nicht ernsthaft in den Sinn gekommen. Dann säße ich wohl heute noch fest! Der aufwendige Zeitfaktor schreckte mich so sehr ab, dass ich über diesen Entwurf gar nicht erst weiter nachdachte.

Der dritte Lösungsweg schien der Logischste: ich bleibe auf meinem Weg, pirsche mich an den Kühen vorbei, hab ein paar Sekunden lang die Chance, an einem Herzkollapps zu Grunde zu gehen oder mich erwischen und tottrampeln zu lassen, wenn ich mich zu doof anstelle! Wenn schon Adrenalin, dann richtig! Und außerdem bin ich nicht dümmer als Weißbrot und schon gar nicht dümmer als fünf Kühe!

Als Kind war ich oft bei meiner Oma auf dem Land. Dort gab es viele Berge und noch mehr Kühe. Damals war es kein seltener Anblick, wenn die Kühe hinter einem Bauern her waren. Da ging es ordentlich zur Sache. Einen hatte es dann richtig übel erwischt - das war ein Massaker! Von den Krücken ist der Bauer nie wieder weggekommen.

Meine Strategie bestand eigentlich nur daraus die Ruhe zu bewahren und meinen Weg nur im Ernstfalle zu verlassen. Außerdem dachte ich, dass die heute morgen bei dem Unwetter sicherlich total verängstigt und panisch waren. Vielleicht waren sie in dieser Situation durchgeknallt und haben sich so selbst befreit oder aber wurde durch eine kleine Havarie der Weg für sie freigegeben.

Also ging ich gaaaanz langsam, aber nicht zögernd in Richtung Kühe los. Links von mir jede Menge Gebüsch und Bäume, deren Äste auf einer für mich unerreichbaren Höhe lagen. Die Büsche hatte ich immer mit einem Auge erfaßt, mit dem anderen die Kühe. Was solls, sie sind Pflanzenfresser! Langsam und auf alles gefaßt näherte ich mich den Ausreissern. Zwei dicke Kuhdamen standen auf dem Weg, auf dem ich mich befand, die anderen drei waren auf dem kleinen Seitenweg, auf dem noch meine Bremsspuren zu sehen waren. Sie sahen mich zwar, behielten mich auch im Auge, waren ansonsten jedoch recht entspannt.

Ich also, in der Rolle des beweglichen Zieles, versuchte die Tiere mittels beruhigender Stimme ein wenig zu besänftigen. Schleichenden Schrittes, jedoch bereit, sofort zu springen oder zu spurten, sichere, dunkle, gleichbleibend monotone Stimme und jede Menge geistigen Dünnschiß labernd näherte ich mich ihnen weiter. Ich hatte eine relative Sicherheit erlangt, woher auch immer, und so erzählte ich den beiden Ladys, dass ich in Frieden komme, in Frieden an ihnen vorüber gehe und in Frieden weiter ziehen möchte.

Eine der beiden, die sich gerade mit mir auf gleicher Höhe befand, war wohl ein wenig nervös. Das dumme Ding muhte plötzlich auf und alle anderen sahen mich an. Die Zweite hatte ich noch vor mir und sah aus dem Augenwinkel, dass sie sich in Bewegung setzte. Das andere Auge suchte das Gebüsch nach einer entsprechend günstigen Einflugschneisse für mich ab.

Doch während ich an der muhenden Kuh vorbei ging, spürte ich plötzlich ihre Angst. (Das könnte auch ein Selbstschutzmechanismus gewesen sein!) Einen Augenblick lang sah ich sie in ihrer Freiheit stehen: sanftes beigefarbenes Fell, unsicherer Stand, einen hellen und gekräuselten kleinen Fleck auf der Stirn, den Kopf nickend und die Ohren in ständiger Bewegung... genau in diesem Moment hätte ich sie gern gestreichelt.

Doch da war noch ihre Kollegin! Ich beschleunigte meine Schritte etwas und erzählte ihr, dass ich es auch nicht fair finde, was hier in Deutschland und überhaupt weltweit mit den Milchpreisen geschieht! Natürlich sollte die Leistung einer jeden einzelnen Kuh gewürdigt und respektiert werden! Die armen Kühe, sie sahen mich an, tänzelten ein wenig unsicher vor sich hin und sahen mir hinterher. Ich erreichte den provisorisch gepflasterten Boden, hier begann der steilere Berg und mein Sprint! Mit dem Schweinehund im Anschlag - weg hier!

Noch auf dem Feldweg hörte ich die lärmenden Kinder. Ein klein wenig wünschten der Schweinehund und ich mir, dass die Bande dort lang mußte. Allerdings taten uns dann die Kühe Leid! Aus Erfahrung weiß ich, dass man mit seinen Wünschen vorsichtig sein sollte.

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