Freitag, 6. Juni 2008

Haariges

Letzte Woche habe ich mich heimlich stylen lassen. Heimlich deshalb, weil mein Mann der Meinung ist, dass der Gang zum Friseur nur notwendig ist, wenn jemand so richtig ein Problem hat. Was das "Problem" jedoch beinhalten sollte, um ein solches zu sein, womit der Besuch beim "Hairstylisten" gerechtfertigt werden könnte - ich habe ganz ehrlich keine Ahnung.

Heimlich im übrigen auch, weil es ohnehin niemandem in dieser meiner Familie auffällt. Vor ca. 2 oder 3 Monaten hatte ich mir die Haare nicht nur schön kürzen, sondern auch tönen lassen. Es ist bis heute mein Geheimnis geblieben.

Also hab ich mir das Programm gegeben: Haare runter, kuren, wickeln...wohlfühlen. Auf dem "Behandlungsstuhl" verbringt frau ihre Wartezeit nicht nur bei Tee und Zeitschriften lesen, sie hat hier etwas mehr Zeit für ihre Gedanken. Und wie ich da so saß, fiel mir ein, dass ich ja eigentlich gar nicht so gern zum Friseur gehe.

Ich weiß, es ist frauenuntypisch: ich gehe nicht gern zum Friseur, ich hasse es, mir Schuhe kaufen zu müssen oder gar neue Klamotten (es sei denn, die sind nicht von der Stange), ich gehe ich kein Fitness-Studio, erst recht nicht in eine öffentliche Sauna, und ich war auch noch nie bei einer professionellen Kosmetikbehandlung. Meine Fingernägel lasse ich mir nicht im Nagelstudio dekorieren, schminke mich nur für besondere Anlässe und auch so bin ich -rein oberflächlich betrachtet- relativ anspruchslos.

Mein teenagendes Töchterchen hat mich mal nach ihrem Geschmack aufgebrezelt - ich sah mir selbst überhaupt gar nicht mehr ähnlich! Keine Ahnung, ob und/oder wofür sie sich an diesem Tag an mir rächen wollte, jedenfalls bestand sie darauf, dass ich mir noch ein paar ihre "Teile" anhose. Diese Aktion war Schweiß treibender als Gassi gehen mit dem Schweinehund! Ausgesehen habe ich wie eine Preßwurst! Alles in allem doch äußerst deprimierend.

Unsere Sprössin mag all die Dinge, die ich beschriebener Weise nicht mag. Hätte sie einen Goldesel, würde sie täglich zur Kosmetikerin, ins Nagelstudio und/oder zum Friseur gehen. Sie würde höchstwahrscheinlich nicht mehr bei uns zu Hause wohnen, sondern in einem dieser Wellness- und Beauty-Areas. (Dort müßte bezahltes Personal hinter ihr her räumen, nicht Mama!)

Als ich so alt war wie sie, hatte ich eine regelrechte "Haarschneider"-Phobie, was natürlich einzig und allein auf traumatische Kindheitserlebnisse zurück zu führen ist...

Unsere Eltern mochten bei uns Kindern kurze Haar - also richtig kurze Haare! Wo bekam man für Mädchen den besten Kurzhaarschnitt in der DDR? Jawoll, beim Stamm-Barbier meines Vaters. Auch mein Opi war da regelmäßig zufriedener Stammkunde. Keiner in der Familie konnte oder wollte verstehen, dass ich nicht zum Herrenfriseur gehen und schon gar keine kurzen Haare haben wollte.

Der unsägliche Wunsch nach langen Haaren - igitt! Die Pseudo-Argumentation meiner Mutter habe ich heute noch in den Ohren: "Schöner frescher kurzer Schnitt - viel schöner ... weniger Arbeit ... praktischer ... das Geziepe und Gekämme immer ... hat nicht jeder ... " Das letzte Argument, war das Bitterste, weil es stimmte: so doof sah nur ich aus!

Immer, wenn meine Haar über die Ohren gewachsen waren, hoffte ich, dass es keiner bemerken würde. Wenn ich sie immer schön nach hinten kämmte, sahen sie fast kurz aus. Doch es wurde immer registriert! Meine Eltern hatten dann auf mein "Theater" auch keine richtige Lust mehr, und so haben sie sich echt kreativ bemüht, kleine Bestechungsgeschenke für ihre Querolantin zu besorgen. Mal war es ein wunderschöner Stickkasten, mal eine Puppe, ein Buch oder eine Schallplatte. In der Werbung würde man es so ausdrücken: "Joa is denn heid schuh weihnoachtn!?"

Meine Mutter hielt mir also das hinterhältige Geschenk vor die Nase, wie dem Esel die Möhre am Stiel, und sagte, ich bekäme es aber erst, wenn wir vom Friseur wieder zurück wären. Mütter wissen ganz genau, womit sie ihre Töchter locken können.

Manchmal war ich so dämlich, dass ich dachte oder vielleicht auch hoffte, meine Mutter würde sich selbst in seine frisierende Behandlung begeben und ich bräuchte nur abzuwarten... haha, manchmal war das auch so, da saß sie vor dem Spiegel. Nur, wenn Mama fertig war, holten sie mich und drückten mich in den Stuhl.

DDR-Kinder sind/waren sehr diszipliniert. Geweint wurde zu Hause unter der Bettdecke. Es hätte auch keiner verstanden, wie erniedrigt sich ein Mädchen fühlen kann, nur weil es eine "schicke neue Frisur" bekommen hat. Geholfen oder geändert hätte es ohnehin nichts. Im Gegenteil: hätte ich mich dort aufgeführt wie ein Derwisch (heute nennt man das: hyperaktiv!), ich hätte noch richtig Dresche bezogen, denke ich jedenfalls.

Doch die Bedeutung des Wortes "Frisur" war damals kein Adelsprädikat. Es stand nicht unbedingt für die Schönheit und Vollkommenheit der einzigartigen, individuellen Gestaltung des Kopfes. Damals war gar nicht daran zu denken, den Figaro verklagen zu können! Hätte man das zu DDR-Zeiten machen können? Soweit ich weiß, nicht.

Bei mir war es jedesmal dasselbe Elend: eine bestimmbare Haarlänge gab es nach der Sitzung nicht mehr. Mein Kopf fühlte sich kahl und nackt an. Der Meisterschnitt führte direkt an der Schädeldecke entlang. Jeder einzelne Haarwirbel am Hinterkopf wurde sichtbar. Diese "Sturzel" habe ich nie wegbekommen, auch nicht mit Papas Rasiercreme. Und zur Krönung des Ganzen wurden über und um die Ohren herum und im Nacken die Härchen akkurat ausrasiert. Um der "Frisur" noch das Sahnehäubchen aufzusetzen, bekam ich mit Klammern einen Seitenscheidel gedreht. Dieser wurde penibelst und sorgfältist nachgefönt und mit viiiiel Haarlack fixiert. Der stank so bestialisch, dass die Fliegen tot von der Wand fielen.

Meine Eltern waren immer hell auf begeistert, weil ich jetzt wieder so einen "feinen, gepflegten Haarschnitt" hatte! Mir war nur spei-übel. Charakterlich war ich leider, aus heutiger Sicht, nicht stark genug, um ihnen den Preis für mein Stillhalten um die Ohren zu werfen. Freudlos, Tränen schluckend, hab ich es entgegengenommen. Wenn ich mich dann Stunden später damit beschäftigte, lenkte es mich ein wenig von meinem Kummer ab.

Ich weiß noch, ich habe mich geschämt mit diesem Kopf, am schlimmsten war dieser furchtbare Entenschnabel und das Gefühl, eine Glatze zu haben. Danach habe ich immer freiwillig meine Mütze aufgesetzt. Die war meine Tarnkappe! Auch hier hat Amnesty international nicht eingegriffen und mich im Stich gelassen!

Als ich irgendwann alt genug war und mich entsprechend wehren konnte, lies ich mein Haar einfach nur wachsen. Meine Eltern haben ziemlich tief in die Trickkiste gegriffen, aber sie haben mich nie wieder zu diesem "Kinderquäler" bekommen. Mittlerweile war ich zumindest auf diesem Gebiet unbestechlich geworden. Ab meinem 19. Lebensjahr befand ich mich hairstylisch gesehen ungelogen 8 Jahre lang nicht mehr in "professionellen" Händen.

Irgendwie habe ich es im Laufe der Jahre doch geschafft, meine tiefe Abneigung gegen das haarige Handwerk zu überwinden. Das zu beschreiben, würde zu weit führen. (Übrigens habe ich diese grausamen Erfahrungen mit meiner Schwester und mit vielen anderen Kindern geteilt. Meine Eltern waren haben sich bei mir richtig Mühe gegeben.)

Heute kann ich das Waschen, Schneiden, Pflegen, Fönen... hin und wieder sogar genießen. Richtig nervös werde ich nur bei generellen Veränderungen wie z.B. einer Kaltwelle. Am liebsten habe ich eine ausgiebige Kopfmassage, da bin ich im Nirvana.

Mit den Jahren wird frau nicht nur in so mancher Hinsicht reifer. Da ich viel mit Menschen zu tun habe und auch sehr gern beobachte, fallen mir zwangsläufig einige Dinge auf, die ich dann natürlich auf mein eigenes Leben bzw. Aussehen projiziere. Dazu gehört u.a. eine gewisse Rivalität unter den Weibern. Tja, was soll ich sagen? Die Konkurrenz ist hart.

Eitelkeit macht eben auch erpressbar...

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