Freitag, 25. März 2011

Die Hippen Hoppser

Heute ist Freitag, der Tag vor dem Wochenende, der Tag, an dem man in aller Regelmäßigkeit feststellt, dass der Kühlschrank vorwurfsvoll gähnt, Obst und Gemüse nur noch tiefgefroren vorhanden sind und überhaupt noch vieles rangeschafft werden muss, womit man das Wochenende gemütlich zelebrieren kann.. Jawoll - Einkaufstag!

Da Mamis Auto in der Garage steht, durfte das liebe Töchterlein die Mama beim Einkauf begleiten. Wirkliche Begeisterung sieht anders aus - nützt ja alles nix, bin über 40 und benötige ein wenig Unterstützung. Zähne fletschend musste sie ihren teuren Sprit in unsere Tour investieren, der kleine Geizkragen. Da krieg ich mich innerlich vor Lachen nicht ein, weil wir Eltern ja ohnehin dafür aufkommen..

Also steige ich beherzt in mein ehemaliges Rennfröschlein ein (Nissan Micra - Froschgrün), tauche ein in die fast schon vergessene heimelige Athmosphäre und greife ganz automatisch zum Autoradio - da krieg´ ich doch tatsächlich nen Gong auf meine Finger!!!

Fassungslos starre ich mein grinsendes Kind an. "Ich fahre, also hörn wir meine Musik!"

Da hat die Mami zur selbst eingeführten Regel nix mehr zu sagen - ausser: "Seit wann hörst du Musik?!" Daraufhin erfolgte ein nicht enden wollender Monolog über das, was für meine Ohren die pure Beleidung ist, fürs Töchterchen und ihre Generation jedoch zeitgemäßer Ausdruck der was weiß ich was.. sie nennen es Musik.

Diese allerdings mit einigen Besonderheiten und Extras, die es heutzutage zu beachten gilt. Was ich also während der gefühlten letzten 113 km gelernt habe, möchte ich euch jetzt mitteilen. Ich ziehe euch ins Vertrauen, weil wir alle (ich meine damit euch, meine lieben Leser, und mich) aufgewachsen sind zwischen Hippie-Musik und Heavy Metall.

Ich hatte noch nie so sehr das Gefühl, ein derartig privilegierter Mensch zu sein - bis heute. Mein ehemaliges Autoradio wird gequält von meiner Tochter! Es bleibt aber nicht bei der Radioquälerei an sich - ich kriegs auch noch auf die Ohren! Es ist unglaublich... Mein Ohrenschmalz kocht, das Hirn schmerzt und meine Schuhe sind davon gelaufen..

Was mich ja so richtig abnervt is nicht nur das ewig gleiche "umtzumtz", sondern diese pornografischen und Fälkal-Schwalle! Es gibt ja in dieser neuartigen Jugendkultur (mir kräuseln sich gerade die Fingernägel - wenn das so weitergeht, muss ich mir beim Töchterchen neue bestellen) kaum noch die korrekte Verwendung der Deutschen Sprache.. es wird abgesehen vom Kanak-Deutsch alle verfügbare Energie auf die explizide Benennung der Dinge bis ins kleinste Detail gerichtet, beispielsweise/ausschließlich exkrementbezogen oder hinsichtlich sexueller Praktiken und kranker Phantasien.

Da fragt die Mama doch genauer nach: "Sag mal, gehts denn bei diesen geräuschuntermalten verbalen Auswüchsen nicht auch einmal ohne diese Verwendung von Kot-Worten und Pornojargon?"
Kommts trocken aus des Töchterchens Mund: "Doch gibts, aber das hört sich doch keiner an, nur "Öko-Rapper", also nicht ich und auch sonst keiner, den ich kenne..."

Desweiteren erfuhr ich von ihr, dass man diese Art des Raps als "Blümchen-Rap" bezeichnen würde. Die Bezeichnung "Flower-Rap" wäre wohl auch äußerst unkorrekt, obwohl diese Szene alles verenglischt - das verstehe, wer will!

Diese Sprache verstehe ich nur mit kommentiertem Wörterbuch - meine Mausi hat sich richtig Mühe gegeben und ich staune, was alles so in ein einziges Köpfchen reinpasst. Denn folgende Dinge sollte der hörende Verbraucher wissen:
  • rappen = das Verb zum HipHop (!), also das, was man tut
  • Rap = Sprechgesang
  • Rap = engl.: klopfen‘ bzw. ‚pochen‘ (wie wahr!), quatschen
Aber denkt mal nicht, dass dieser Sprechgesang irgendeine Gemeinsamkeit hat mit Bezeichnungen, die wir kennen. Es beginnt damit, dass es im Rap keine Lieder oder Songs gibt, nönö! Die heißen Track. Für mich als Sächsin eine Frage der Dialekte, klingt wie das sächsische Wort "Dreck", womit ich aber nix bewerten oder gar beleidigen möchte.. aber merken kann ich mir das sehr gut.

So ist die Strophe des Liedes, pardon: des Rap´s, ein Part. Diese Bezeichnung kenne ich noch aus dem Englisch-Unterricht, gar finster wars. Doch da gabs diese antimusikalische Verirrung noch nicht. Zumindest kannten wir sie nicht.

Der Part besteht aus Lines, den Zeilen. Diese reimen sich günstigstenfalls und werden Rhyme genannt. Ich persönlich finde das echt sinnfrei, weil sich der deutsche und englische Reim/Rhyme in der Aussprache lediglich durch das "rollende" r mittels schwerere Zunge unterscheiden. Frag aber den jugendlichen Verbraucher wie es geschrieben wird - wenn er seine eigene Adresse nicht unfallfrei aufs Papier bringt, "Rhyme" kriegt der hin - jede Wette!

Es gibt dann auch noch den Refrain, der heißt Hook. Keine Ahnung ob dieser oder der Käpt´n eher da war.. dann gibt es auch Zeilen im Refrain, die immer wiederholt werden, die Hookline.

Man erkennt an dieser Stelle eine gewisse Kreativität - die Kombination! Auch das hat mir mein Töcherlein erklärt - da wirste nur wirre. Das führt einfach zu weit.

Was kann ein Mensch alles noch ertragen? Richtig: den akustischen Genuss an sich.

Für mich ist es wirklich die absolute Folter - lieber lass ich mir das Gesicht zutackern (neudeutsch:piercen)! Doch was tut frau nicht alles für ihr Kind! Zieh ich mir auch noch das rein, während meine Tochter mich über die Sachverhalte von bass, drums, beats (he, hab das Gefühl, alte Bekannte zu treffen) und high hats (tititi) aufklärt.. und über flow und spitten..

Der Flow ist der Fluss des Tracks, der gern in Diss-Tracks verwendet wird, also in wörtlich übersetzte "Mobbingsongs" - an dieser Stelle stöhnt der pädagogische Zeigefinder. Das hat wohl der coole Savas (keine Ahnung, warum der friert) ganz toll drauf gegen Eko Fresh (wie frisch kann der sein?!). Ich kann mich erinnern, dass das vor Jahren überall hoch- und runter gespielt wurde. Meine Mausi meinte auch, dass gerade dieser Track ein Paradebeispiel für die "technische Perfektion" dieser Kategorie sei. Es gäbe die 3 großen S in der Rap-Szene: Sido, Savas und Sammy.

Naja, Sido trug ja lange Zeit ne "eiserne" Chrom-Maske. Schade, dass der nicht allergisch drauf war. In einem Interview sagte er mal, dass er nicht wollte, dass sein Sohn (damals um die 5 Jahre) seinen Daddy (Papa geht gar nicht für einen Rapper!) sieht und hört, welch böse Texte er von sich gibt.. Kann frau geteilter Meinung sein - bin ich aber nicht. Allen anderen Kindern hat er diese vergeistigte Flatulenz zugemutet, dann soll er auch vorm eigenen Filius dafür geradestehen! Und wenn ich mich meiner Familie gegenüber schäme für das, was ich tue/sage, dann sollte wohl grundsätzlich genauer nachgedacht und gehandelt werden.

Aber für meine Weltverschönerin ist das kein Grund für Aufregung. Sie meint, dass bekannte Porno-Damen auch Kinder haben. "Zeigt man seinem Kind einen Porno? Noch dazu mit der Mutter als Hauptdarstellerin?" Und anders fragt sie: "Kann man verhindern, dass Kinder an Pornos rankommen?"

Ich bin ja echt überhaupt gar keine Moralistin. Aber über dieses Thema könnten wir sehr lange diskutieren und kämen zu keinem Ende, außer: leben und leben lassen.
Gegen Savas darf ich nix sagen. Ratet mal, wer mir da Ärger bereiten wird;-) Und Sammy kenne ich nicht.. Schlimm? Schlimmer wäre es wohl, jetzt mit Fakten um mich zu werfen.

Doch werfen wir uns jetzt in den für mich lustigsten Teil - den, wie ich sie nenne: Hippen Hoppsern..

Jede Szene hat ihre Klamotten, die auch. Angesagt bei den Hoppsern sind natürlich Caps (also Mützen). Das ist für mich das Hauptmerkmal. Hier hat sich in den letzten Jahren vieles verändert.

Der Dresscode der Generation meiner Tochter bestand noch aus bestimmten völlig überteuerten Markenklamotten und ebenso Schuhen. Heute erkenne ich sie an den o.g. Mützen und ihren baggys - nein, nicht die zum Fahren am Strand, sondern die für zum Anziehen bzw. für zum Festhalten.. die kauft sich der Hippe Hoppser gern ein paar Nummern zu groß. Dann rutscht dieses Beinkleid weit in die Schambeingegend - dort wartet eine für diesen Zweck angezogene Schlüpper mit breitem Gummi mit ner Markennamenaufschrift drauf.. Die baggy muss die teure Unterhose freilegen - wozu hat man das teure Ding sonst an?!

Es ist aber auch zu schön, die jungen Leute bei ihren Gehversuchen zu beobachten, wie sie ständig die Hände an und in der Hose haben, nur um diese nicht im Galopp zu verlieren. Die Anatomie des tragenden Körpers ist auch schwer zu identifizieren. Da wurschtelts und kräuselts, bauschts und wallts hüftabwärts.. nicht einmal die Schrittfolgen sind erkennbar. Ich sag nur: chinesische Laufente!

Ein weiterer sehr erheiternder Nebeneffekt ist, dass durchaus attraktive mehr oder weniger kleine Knackpopöchen in den unendlichen Weiten dieser Stoffwülste verschwinden, ja schier unkenntlich gemacht werden. Frau hat immer so den ersten Eindruck von in-die-Hosen-gemacht oder vergleicht es mit Windeln.. Fakt ist: bei durchtrainierten Körpern finde ich es durchaus akzeptabel, doch je mächtiger und wabbeliger der Speck des BK-Jüngers (sprich: Bie Keh, also bk auf englisch, soll heißen: BurgerKing), desto grauseliger und diffuser der Anblick..

Und wenn dann das Jungvolk zum Konzert geht - dann bin ich den Tränen nahe!

Dort rappen nicht die Bands, sondern die crews-und jetzt kommts:

Die crowds bouncen - sorry, da quieck ich mich weg!

Die crowds sind die Menschen, die vor der Bühne stehen und bouncen, also sie bewegen sich mit ausgestreckten Armen zum track, und zwar wippend! - sorry, wisch mir grad die tränen

Jeder hat das bestimmt schon mal gesehen - bei Eminem sah das immer toll aus: das Bein ummantelnde Gewirr auf halb acht in den Kniekehlen hängend, wippts im beat (oder wonach auch immer) mit ausgestreckten Armen, die sich ebenfalls wippend von oben nach unten und umgekehrt bewegen - der ganze Körper also eine einzige Hippe-Hoppser-Wipp-Woge..

Meine Güte, was waren wir unschuldig!

Wir hüpften und sprangen, kreischten, sangen, tanzten, .. mehr oder weniger betrunken spielten wir Luftgitarre und headbangten wir in Stretchjeans und Schlapper-Fan-T-Shirts durch den Saal oder auch unter freiem Himmel..

Große Konzerte verbrachten wir auch vor der Bühne stehend, aber so diszipliniert/bewegungsverarmt waren wir wirklich nicht! Da wurde gepokt auf Teufel komm raus.. Es war völlig egal, wie wir aussahen, was wir anhatten ..

Obwohl, soooo ganz stimmt das nicht: es gab ja bei uns auch die Ausprägung der Popper-Szene. Das waren die absoluten Poser! Popper - das war ein Schimpfwort. Erkennen konnte man die an ihren trendy Klamotten: Karottenhosen und angesagte sehr individuelle Oberteile. Und das absolute no-go: der Seitenscheitel!

Ich weiß noch, dass ich diese "Popper-Musik" heimlich, aber hingebungsvoll gehört hab.. nur passte das nicht in meine Szene.. Abstreiten nützt nix: auch wir waren uniformiert. In meiner Szene trug man eben verdreckte zerrissene Jeans, lange strähnige Haare, weite Hemden, selbst gefärbte Windeln als Halstücher, Nieten, Ketten, Lederbänder, Tramper-/Römerlatschen (je nach Jahreszeit) und ne Flasche Alkohol (den musste man nicht trinken, damit musste nur das Bild abgerundet werden).

Auch wir wollten uns abheben von der Masse. Wir konnten nur nicht alles kaufen. Vieles haben wir erstanden, uns von Verwandten aus dem anderen Deutschland schicken lassen und vieles haben wir auch selbst genäht oder verziert und bemalt. Wir haben uns aus Klospülerseilen Ketten gebastelt und uns damit behangen.. was haben sich unsere Eltern geschämt!

Was wäre aus uns geworden, wenn wir uns alles hätten kaufen können? Wenn alles nur eine Frage des Preises und nicht der kreativen Möglichkeiten gewesen wäre? Wenn wir grau gewesen wären wie die unzähligen Kriegsdenkmäler und Betonbauten um uns herum? Wenn wir das nicht einmal bemerkt hätten?

Was wäre aus uns geworden, wenn unsere Eltern nicht besorgt gewesen wären um uns? Wenn sie uns keine unbequemen Fragen gestellt hätten? Wenn sie sich nicht über das, was unsere Lebenskultur darstellte, aufgeregt hätten? Wenn sie uns dafür vollstes Verständnis entgegengebracht hätten? Wenn sie uns nicht losgelassen hätten?

Lehnen wir uns zurück und freuen wir uns über das, was wir hatten und uns bis heute bewahren konnten: unsere Identität.

PS: Wer sich fachlich zum Thema informieren möchte, der folge doch diesem Link:
  • http://de.wikipedia.org/wiki/Rap
Meine Tochter beantwortet auch gern ehrliche Fragen und stellt sich den stubenreinen Meinungen. Den Kontakt würde ich auf ernsthaften Wunsch herstellen. Habts bitte Verständnis dafür, dass dies dann nicht über den Blog laufen wird.

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