Dienstag, 10. Mai 2011

Die Amsel singt

Vielleicht hatte ich es schon erwähnt? Vor drei Jahren sind wir in unser fein´Häuschen eingezogen. Vom Tag des Einzugs bis heute haben wir unsere Gastmietz als vollwertiges Familienmitglied akzeptiert.

Unsere Glücksmietz ist mit allen für Katzen verfügbaren Farben gescheckt. Wenn sie kommt, ist das auch nicht zu überhören. Lautstark meldet sie sich an und verlangt ebenso geräuschvoll nach Futter und Streicheleinheiten. Ihre Stimme klingt ein wenig wehleidig, deshalb nennen wir sie "Gnatschie" - "gnatschen" bedeutet in unseren Breitengraden soviel wie "lamentieren", "jammern"

Mit der Zeit reichte ihr das Futter scheinbar doch nicht aus, und nun sucht die Süße ganz offensichtlich Familienanschluss. Klar, das Tier ist nicht doof, die sorgt fürs Alter vor.. und so kam es, dass sie plötzlich eines winterlichen Tages auf unserem Balkon stand. Der Balkon befindet sich schon so in guten 3 Metern Höhe.. Das liebe Tier hat damit offensichtlich kein Problem: sie hangelt sich mal eben am wilden Wein nach oben. Der Rückweg ist übrigens derselbe..

Wir haben versucht, sowohl diese Tatsache als auch sie zu ignorieren. Im Hinblick auf den Sommer dachten wir, wenn sie keinen Erfolg hätte, würde sie es sein lassen. Ach, weit gefehlt. Nix da, sie kommt jetzt fast täglich auf unseren Balkon, aalt sich ein wenig in der Sonne, wenn es ihr zu warm ist, dann eben im Schatten meiner Blumentöpfe, schnappt sich das Gnadenwürstchen vom Grill und guckt glücklich und zufrieden in die Welt. Sie ist ne richtig süße Räuberin, die überall im Dorf zu Hause zu sein scheint. Wenn sie nicht bei uns ist, dann sieht man sie bei den Nachbarn oder auf der Straße..

Da sie wie schon gesagt vom ersten Tag an irgendwie hierher gehört, ist das für uns auch selbstverständlich geworden. Ebenso selbstverständlich füttern wir auch die Vögel im Winter.

Vor ein paar Wochen hatte ich die letzten Sonnenblumenkerne und die Reste eines zerrupften Meisenknödels am noch nackten Weinholz hängen. Die Vögel haben sich sehr gefreut. Sie knabberten munter drauf los - ging ja den gesamten Winter hindurch gut und scheinbar lecker.

Auch unsere Gnatschi war immer mit von der Partie, sah den Vögeln zu, stänkerte mal ein wenig, aber nicht wirklich ernsthaft - bis zu diesem verhängnisvollen Tag.

Wie es kam, konnte ich nicht sehen, sonst hätte ich versucht, es zu verhindern.. ich kam gerade an die Tür, als Gnatschi mit dem Vogelhaus kämpfte. Diese voluminöse Katze hing wenig grazil mit ihrem runden Bäuchlein im Futterhäuschen, die Hinterpfoten zappelten hilflos und wütend in der Luft.. sie versuchte, ohne die Vorderpfoten zu benutzen, sich aus dem Dilemma zu befreien..

Ich wollte schon zur Tür raus und ihr helfen, da plötzlich krachte sie mit samt dem Häuschen auf die Bretter.. Es scherbelte und knallte, das Dach des Häuschens lag auch der anderen Seite des Balkons.. Erschrocken dachte ich, dass unserer Glückmietz was passiert sein könnte und hatte den Riegel schon in der Hand..

Da sah ich wie Gnatschie ihren Kopf drehte und -ich schrie vor Entsetzen auf- ein Amselweibchen zappelte in ihrem Maul! Der Vogel war noch nicht tot, sah angsterfüllt um sich, während Gnatschie es mit ihren kräftigen Pfoten malträtierte.. Was sollte ich tun? Die Amsel war mehr tot als lebendig..

Die anderen Spatzen, Amseln und Meisen zeterten vom Baum vor unserem Balkon auf die Katze ein .. der Lärm, den alleine die Vögel machten ..!

Ich klopfte gegen die Scheibe der Balkontür.. Gnatschie sah blitzartig und aufgeregt direkt in meine Richtung.. mit einem Ruck drehte sie sich um, sprang auf den Zaun und glitt mit ihrer Beute im Maul am Wein nach unten.. Ich habe ihr nicht hinterher gesehen und wollte auch gar nicht vor die Haustür gehen - ich hatte befürchtet, sie würde uns den armen Vogel vor die Tür legen..

Gestern machte ich es mir am Abend auf unserem Balkon gemütlich. Das Buch war interessant, der Tee lecker, .. doch irgendwas lenkte mich ab.

Schon seit zwei oder drei Wochen singt eine Amsel bis in die Dämmerung ohne Unterlaß. Es ist ein Männchen.. Er fliegt um unser Haus herum, sitzt auf Überlandmasten oder -kabeln, auf Bäumen und auf der Dachspitze und singt und singt und singt ...

Auch jetzt, während ich schreibe, singt er.

Vielleicht war es sein Weibchen? Sucht er sie auf diese Weise? Versucht er so ein neues Weibchen für sich zu finden?

Diese Gedanken stimmen mich doch ein wenig traurig..

Warum habe ich ein schlechtes Gewissen?

1 Kommentar:

  1. sei dir keine Schuld bewusst.. Jäger und Gejagte befinden sich unter uns o.O

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